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Bernd Senf Der Nebel um das Geld 254 Seiten - GAUKE 1. Auflage Mai 1996 6. überarbeitete Auflage Okt. 2001 ISBN: 3879984352 Bestellen |
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7.1
Geld
wächst und wächst und wächst Bei
der Untersuchung des Zinses beginnen wir mit der scheinbaren Selbstverständlichkeit, daß ein Geldbetrag, der festverzinslich angelegt wird, im
Laufe der Zeit zu einer immer größeren Summe anwächst. Wir kennen alle
entsprechende Berechnungen und
Grafiken, die den Geldanlegern von Seiten der Banken oder
Lebensversicherungen vorgelegt
werden und die deutlich machen, wie sich das angelegte Geld über die
Jahre hinweg scheinbar ganz von
selbst vermehrt. "Lassen Sie Ihr Geld arbeiten" ist ein gängiger
Werbespruch von Kreditinstituten. Je
nach Zinssatz ergibt sich -
wie in Abb.
37
dargestellt
- aus
der festverzinslichen Anlage
eines Geldbetrages (100) ein mehr oder weniger schnelles Wachstum des Geldvermögens,
was sich von Jahr zu Jahr immer weiter beschleunigt ("exponentielles
Wachstum"). Um nur ein Beispiel zu nennen: 10.000 DM festverzinslich
angelegt wachsen in fünfzig
Jahren an
Wo
soll dieses Wachstum herkommen? Wie kommt es, daß "das Geld
arbeitet", daß es
sich, wenn man es anlegt, automatisch vermehrt? Verfolgen wir zur Klärung
dieser Frage
einmal die möglichen Wege, die das Geld zurückgelegt haben kann, ehe es
in Form
von Zinsen und Tilgung wieder zu den Geldanlegern zurückfließt. 7.2
Sparen
und Investieren im gesamtwirtschaftlichen Kreislauf Das
Geld der Geldanleger wandert z.B. zu den Geschäftsbanken oder
Kreditinstituten,
die es ihrerseits als Kredite weiter an die Unternehmen ausleihen, z.B. für
Investitionen.
Auf diese Weise wird die Lücke im gesamtwirtschaftlichen Kreislauf, die
erst einmal durch das Sparen entstanden war, wieder geschlossen (wie
bereits in Abb.
19a und
b dargestellt).
Denn die Unternehmen können mit den Krediten Investitionsgüter und
damit einen Teil des Sozialprodukts nachfragen. Bis dahin scheint der Zins
erst einmal eine gesamtwirtschaftlich positive Funktion zu haben: Er lockt
- wie
wir dies schon weiter oben herausgearbeitet haben - das
überflüssige Geld auf den Kapitalmarkt und ermöglicht, daß dieses
Geld von anderen nachfragewirksam verwendet wird. Wenn
am Kapitalmarkt die Nachfrage nach Krediten für Investitionen (I) nicht übereinstimmt mit dem Angebot an Krediten durch Sparen (S) (was eher die
Regel als die Ausnahme sein wird), dann scheint der Zins sogar für
einen Ausgleich zwischen Angebot und
Nachfrage am Kapitalmarkt zu sorgen: Mit steigendem Zins sinkt einer seits
die Nachfrage nach Investitionskrediten (I) und steigt andererseits das
Kreditangebot von Seiten der Sparer (S), dargestellt
in (Abb.
38). Ist
z.B. bei einem Zins z1
die Kreditnachfrage I größer als das Kreditangebot S, so werden die Geschäftsbanken
den Zins erhöhen, bis sich
beide Größen ausgleichen (Gleichgewichtszins z). Ist bei
einem Zins z2
die
Kreditnachfrage geringer als das Kreditangebot, dann werden
die Banken den Zins senken, bis es zu einem Ausgleich kommt. Der
Zins scheint also ein wunderbarer
Regulator zu sein, um am Kapitalmarkt immer wieder das Gleichgewicht
zwischen Kreditangebot und Kreditnachfrage herzustellen, und damit im
gesamtwirtschaftlichen Kreislauf
das Gleichgewicht zwischen Sozialprodukt einerseits und gesamtwirtschaftlicher
Nachfrage andererseits. So wird es
auch in vielen ökonomischen
Lehrbüchern gelehrt. Man
spricht in diesem Zusammenhang vom "Zinsmechanismus am
Kapitalmarkt", und man war lange
Zeit der Auffassung, daß er im Großen und Ganzen immer wieder dafür sorgt,
vorübergehende Ungleichgewichte am Kapitalmarkt abzubauen - und
auf diese Weise auch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage immer wieder in
Übereinstimmung zu bringen mit dem
gesamtwirtschaftlichen Angebot, dem Sozialprodukt. So
war jedenfalls die klassisch-liberale, auf Adam Smith zurückgehende
Auffassung über die vermeintlich störungsfreie
Selbstregulierung des Kapialmarkts, und auch die späteren - mit mathematischen Modellen dargestellten - Gedanken
der sogenannten "Neoklassik", die bis heute zum
Standardprogramm wirtschaftswissenschaftlichen Studiums
gehören. Derartige Vorstellungen vom Zinsmechanismus machten und machen
es schwer, die dahinter sich verbergende Problematik des Zinses zu
erkennen. Die Wirtschaft bedarf ja geradezu des Zinses, um das Geld in Fluß zu halten
(jedenfalls solange, wie es keine andere wirksame Umlaufsicherung
des Geldes gibt). Worin soll denn dann die Problematik des Zinses liegen? Die späte Korrektur durch Keynes Erst
sieben Jahre nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise von 1929 erfolgte im
Rahmen der akademischen Wirtschaftswissenschaften eine späte, viel zu späte
Korrektur dieser Auffassung durch den weltberühmt gewordenen englischen
Ökonomen John Maynard Keynes -
mit seinem 1936 veröffentlichten Buch
über die "Allgemeine Theorie
der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes". In Deutschland hatte
die Massenarbeitslosigkeit
Anfang der dreißiger Jahre schon den Boden für den Faschismus bereitet,
und die Naziherrschaft hatte sich bereits durchgesetzt. "Liquiditätspräferenz"
- ein
Leck im gesamtwirtschaftlichen Kreislauf Keynes
räumte mit seiner Theorie (deren Grundgedanken und Problematik ich an anderer
Stelle ausführlich erläutert habe)20
immerhin ein, daß der Zins die ihm
unterstellte Regulatorfunktion am Kapitalmarkt nicht immer erfüllen
muß, sondern daß es auch zu längerfristigen Ungleichgewichten am
Kapitalmarkt kommen kann. Einen wesentlichen Grund sah er darin, daß das
gesparte, also nicht konsumierte Geld sich nicht
automatisch in voller Höhe vom Zins auf den Kapitalmarkt locken läßt,
sondern aus "Vorliebe für
Liquidität" ("Liquiditätspräferenz") lieber gehortet
wird - z.B. für Spekulationszwecke. Die
Konsequenz, die er daraus zog, lag aber nicht in einer grundsätzlichen
Problematisierung des Zinses und in einer entsprechenden Korrektur des
Zins- und Geldsystems,
sondern in der Forderung nach zusätzlichen Staatsausgaben zur Auffüllung
der Lücke im
gesamtwirtschaftlichen Kreislauf. Die wirksamste Form der Finanzierung sah er in der Geldschöpfung. Was Keynes für die Behebung der
gesamtwirtschaftlichen Kreislaufstörung
vorgeschlagen hat, läßt sich veranschaulichen am Bild einer Zentralheizung:
Nachdem endlich das Leck im Heizungskreislauf erkannt wurde, wird an anderer
Stelle einfach zusätzlich Wasser zugegossen - anstatt das Leck zu stopfen und damit die Ursache der Störung zu beheben. Daß bei dieser Art der
Intervention das ganze System
durcheinander kommen und überflutet werden kann, wenn das abgeflossene
Wasser (das gehortete Geld) seinerseits unvermittelt und unerwartet in den
Kreislauf zurückschwappt, liegt eigentlich auf der Hand. Geldschöpfung als
Symptombehandlung Eine
Lösung des zugrundeliegenden Problems scheint diese Art von staatlicher
Intervention
also nicht zu beinhalten. Vielmehr handelt sich um ein Kurieren am Symptom
des gesamtwirtschaftlichen Nachfragemangels und der dadurch bewirkten
Arbeitslosigkeit,
mit der unerwünschten, aber wohl unvermeidlichen Nebenwirkung von Inflation
- als
Folge einer Überflutung des Wirtschaftskreislaufs mit zusätzlich und im Übermaß geschöpftem Geld. Der Einsatz keynesianischer Beschäftigungspolitik,
wie er später insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg in vielen
westlichen Industrieländern praktiziert wurde, ging tatsächlich immer wieder einher mit
schleichender Inflation - eine
Entwicklung, die schließlich in den achtziger Jahren den Gegnern einer
solchen Politik und Theorie, den
sog. "Monetaristen", immer mehr Auftrieb gab und zur Grundlage
von Anti-Inflationspolitik mit drastischen Sparmaßnahmen - vor
allem im sozialen Bereich - wurde. Im
Zuge der Anwendung monetaristischer Politik hat sich das Problem
der Arbeitslosigkeit, das mit keynesianischer Politik gelöst werden
sollte, wieder enorm verschärft. Mir
erscheint das Verhältnis von Keynesianismus zu Monetarismus wie das Verhältnis
zweier Ärzte, die sich beide nicht um die tiefer liegenden Ursachen einer
Krankheit kümmern. Während
der eine zur Symptombekämpfung Spritzen verabreicht (die
tatsächlich kurzfristig wirken), warnt der andere vor den immer unübersehbarer
werdenden
"Nebenwirkungen" und setzt die Spritze wieder ab. Zum tieferen
Verständnis der Krankheit und zur grundlegenden Heilung haben
beide nichts beigetragen. An anderer
Stelle bin ich ausführlich auf diese Art von Konfliktverdrängung von Seiten
der Wirtschaftswissenschaften eingegangen.21
20 Bernd Senf: Kritik der marktwirtschaftlichen Ideologie,
Berlin 1980, Kapitel "Wirtschaft und Staat" 21 Bernd Senf: Konfliktverdrängung
und Systemerstarrung, in: emotion3,
Berlin 1981 |
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Version: 22.05.08 15:24:54