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    Bemerkung:  Das Skript "Kritik der marktwirtschaftlichen Ideologie" (1980) von Bernd Senf wird an dieser Stelle komplett in elektronischer Form (PDF Dateien) zur Verfügung gestellt.  | 
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      "Kritik der marktwirtschaftlichen Ideologie" ist geschrieben für
      Studienanfänger im Bereich Ökonomie und Sozialwissenschaften. Damit
      meine ich nicht nur Studenten innerhalb der Universitäten und
      Fachhochschulen, sondern auch solche, die sich außerhalb dieser
      Institutionen mit dem Zusammenhang ökonomischer und sozialer Probleme
      auseinandersetzen und sich ein Verständnis dieser Zusammenhänge
      erarbeiten wollen. Ich hoffe sehr, daß es diesem Buch gelingt, das Getto
      des Uni-Betriebes zu durchbrechen und Impulse auch an diejenigen zu geben,
      die um ein Verständnis gesellschaftlicher Zusammenhänge bemüht sind,
      aber durch die übliche trockene und abstrakte Wissenschaftssprache und
      Formalisierung vieler ökonomischer und sozialwissenschaftlicher Bücher
      in ihrem Interesse nur gebremst, entmutigt und zurückgestoßen werden. Die
      Hauptaufgabe dieses Buches sehe ich darin, durch die Erarbeitung eines
      groben Überblicks über wesentliche Ökonomische und soziale Zusammenhänge
      dieser Gesellschaft ein Interesse zu wecken an deren tieferer
      theoretischer Durchdringung. Ein solches Interesse kann bei Studienanfängern
      nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden. Ist es nicht vorhanden bzw. wird
      es nicht entfaltet, so kann eine inhaltlich geleitete Motivation nicht
      entstehen, und an ihre Stelle tritt nur allzu oft eine durch Prüfungsdruck
      erzwungene Motivation. Die
      motivationalen Probleme des Studiums scheinen mir auch in verschiedenen
      fortschrittlichen Studienreformansätzen nicht hinreichend erkannt. Unter
      "fortschrittlich" wird vielfach schon die inhaltliche
      Verankerung gesellschaftskritischer Theorien, im Studium verstanden, wobei
      sich die Form der Vermittlung von denen des traditionellen
      Wissenschaftsbetriebs oft nur wenig unterscheidet. Für den Lernprozeß
      und für die Persönlichkeitsentfaltung der Lernenden macht es aber einen
      erheblichen Unterschied, ob die Lehrinhalte nur im Hinblick auf die Prüfungen
      angeeignet werden oder aus einer inhaltlich geleiteten Motivation. Die
      didaktische Konzeption dieses Buches (bzw. der Kurse, aus denen heraus
      dieses Buch entstanden ist) geht davon aus, daß die Studienanfänger in
      bezug auf ökonomisch-sozialwissenschaftliche Probleme kein
      unbeschriebenes Blatt sind, auf das der Dozent erst die Weisheiten seiner
      wissenschaftlichen Disziplin zu schreiben hat, sondern daß jeder von
      ihnen eine Fülle von Gedanken, Informationen und Erfahrungen aus den
      Bereichen Wirtschaft
      und Gesellschaft in sich trägt. jeder ist schließlich in vielfältiger
      Weise in die ökonomischen und sozialen Zusammenhänge eingebettet und hat
      - beeinflußt durch Elternhaus, Schule, Freundeskreis, Fernsehen,
      Zeitungen usw. - irgendwelche Vorstellungen darüber, was in ihm und um
      ihn herum vorgeht. Diese Gedanken mögen bruchstückhaft und
      unsystematisch, die Informationen mögen unsortiert und die Erfahrungen
      unverarbeitet sein, aber sie sind vorhanden und machen einen wesentlichen
      Teil der Persönlichkeit jedes Einzelnen aus. An ihnen kann angeknüpft
      werden, sie können zum Ausgangspunkt genommen werden für lebendige
      Diskussionen, in
      die
      sich jeder einbringen bzw. in der sich jeder wiederfinden kann. Die
      Aufgabe des Dozenten beschränkt sich darauf, durch bestimmte aus einem
      Gesamtzusammenhang abgeleitete Fragestellungen Impulse für solche
      Diskussionen zu geben und die dabei heraussprudelnden und oft aufeinanderprallenden
      Gedanken
      zu strukturieren und thesenartig zuzuspitzen. Solche kontroversen
      Diskussionen schaffen häufig erst eine gewisse Spannung und das Bedürfnis
      nach mehr Information. Insgesamt ergibt sich daraus ein Wechsel zwischen
      einem spannungsgeladenen Suchprozeß und
      einer
      diese Spannung abbauenden Phase von Informationsaufnahme und
      -verarbeitung. Ohne
      einen solchen vorangegangenen Suchprozeß würden dieselben Informationen
      bei den Lernenden qualitativ etwas ganz anderes bewirken: Ein Großteil
      der Informationen würde abprallen oder alsbald wieder vergessen sein,
      oder aber der Prüfungsdruck wird zur entscheidenden Triebkraft, um den
      Widerwillen gegen ein fremdbestimmtes Lernen niederzukämpfen. Unter
      solchen Bedingungen
      wird Lernen zum Streß. In die Stelle
      der konkreten Lust am Suchen und Entdecken und an dar Erarbeitung
      bestimmter Fragestellungen
      tritt die Angst vor dem Versagen., tritt die Jagd nach dem abstrakten Tauschwert
      von Prüfungsnoten, um
      derentwillen man sich
      auch Inhalte einpaukt, zu denen jeder innere Bezug fehlt. Die Verdrängung
      der konkreten Lust am Lernen durch den abstrakten
      Tauschwert der Noten
      ist leider das vorherrschende Prinzip unseres
      Erziehungssystems (besser: Erdrückungssystems!) auch im
      Bereich der Hochschule. Aber
      es geht auch anders - entgegen allen Auffassungen, die die Möglichkeit
      eines Lernens ohne Leistungsdruck überhaupt leugnen oder die sich darauf
      zurückziehen, daß bei Erwachsenen schon zuviel an innerer ("primärer")
      Lernmotivation verschüttet sei, als daß sie noch ohne äußeren
      Leistungs- und Prüfungsdruck lernen könnten. Meine Lehrerfahrungen haben
      mir immer wieder gezeigt, daß Studenten, die in ihrer ganzen Schulzeit
      nie Spaß am Lernen hatten und nur unter Angst und Druck gelernt haben, im
      Laufe von zwei bis drei Jahren Studium ein Interesse und ein
      Selbstvertrauen entwickelt haben, wie sie es selbst nie für möglich
      gehalten hätten. Und viele von ihnen sehen diese ihre Entwicklung im
      Zusammenhang mit der "anderen Art des Lernens", wie sie
      mindestens in einigen Kursen an der Fachhochschule für Wirtschaft Berlin
      möglich war (und durch die zunehmende Verschulungstendenz leider immer
      weniger möglich ist). Vor allem die einsemestrige interdisziplinäre Eingangsphase, die den Charakter einer Problematisierung hat und aus deren Konzeption heraus das vorliegende Buch entstanden ist, hat vielen Studenten wesentliche Impulse für ihr weiteres Studium und für ihre eigene Entwicklung gegeben. Dieser sog. "Orientierungskurs" unter teilt sich in einen einzelwirtschaftlichen, gesamtwirtschaftlichen, sozialwissenschaftlichen und rechtlichen Teil und wird jeweils von einem Team von vier Dozenten betreut. Dabei sollen wesentliche ökonomische und soziale Konflikte aus den Bereichen "Arbeit und Produktion" "Markt und Konsum" sowie "Staat" unter den Aspekten der einzelnen Teilgebiete diskutiert werden - mit dem Ziel, eine Trennung zwischen den einzelnen Disziplinen von vornherein gar nicht entstehen zu lassen. Ich selbst habe in mehreren dieser Teams vor allem den gesamtwirtschaftlichen Teil des Kurses übernommen und dabei besonderes Gewicht auf die Herausarbeitung von Zusammenhängen zu den einzelwirtschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Teilen gelegt. Das
      vorliegende Buch stellt den Versuch dar, Unterrichtsabläufe, wie sie sich
      in mehreren meiner Kurse typischerweise ergeben haben,
      möglichst ausführlich
      nachzuzeichnen - mit allen Fragen, Zweifeln, mit allem Suchen, Finden und
      wieder Verwerfen von Lösungen, halt einem Prozess des allmählichen
      Erschließens ökonomischer und sozialer Zusammenhängen Und des allmählichen
      Verstehens und Hinterfragens dessen, was ich "marktwirtschaftliche
      Ideologie" genannt habe: derjenigen Auffassungen und Theorien, die
      davon ausgehen, dass die Funktionsmechanismen einer Marktwirtschaft (mit
      mehr oder weniger staatlichen Eingriffen) dazu beitragen, die Produktion
      in Richtung auf die bestmögliche Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse
      zu lenken. Was
      hier wiedergegeben wird, sind
      nicht in erster Linie fertige Ergebnisse,
      sondern ist vor allem der Prozeß des Lernens in seiner konkreten
      Form anhand Ökonomisch-sozialwissenschaftlicher Fragestellungen. Ich
      verstehe dieses, Buch nicht nur als einen Beitrag
      zur Kritik der marktwirtschaftlichen Ideologie, sondern vor allem als ein
      konkretes Beispiel dafür, wie ein emanzipatorischer Lernprozess gestaltet
      werden kann, in dem sich Interesse und Motivation entfalten können. Ganz
      allgemein scheinen.. mir für die Gestaltung eines solchen Lernprozesses
      mehrere Aspekte wesentlich:  Die
      Diskussionen müssen anknüpfen am sprachlichen
      und
      inhaltlichen, Vorverständnis bzw. am konkreten
      Erfahrungshintergrund der Lernenden. Aus dem Zusammenspiel dieser drei Faktoren können sich im Lernprozeß immer wieder Erfolgserlebnisse ergeben, die zu einer unabdingbaren Voraussetzung werden für das Hinterfragen verinnerlichter Vorurteile und Ideologien und die das Bewußtsein öffnen für andere Erklärungsansätze. Ohne eine solche Phase der Öffnung würde eine kritische Gesellschaftstheorie von vielen entweder von vornherein abgewehrt (weil durch sie die bisherige politische und soziale Identität erschüttert würde), oder aber sie würde lediglich aufgrund von Prüfungs- oder Gruppendruck angenommen und bliebe auf diese Weise aufgesetzt auf eine ansonsten konservative Denk- und Verhaltensstruktur. Der damit verbundene Bruch in der Persönlichkeit führt entweder zu opportunistischem Anpassungsverhalten oder aber zu einer dogmatischen Erstarrung, die unfähig wird, sich mit Fragen und Zweifeln, die an die eigenen Verdrängungen rühren, noch offen auseinanderzusetzen. Alle drei Varianten - die konservative Abwehrhaltung, die opportunistische Anpassung und die dogmatische Erstarrung - bzw. deren Träger sind aber für eine emanzipatorische Bewegung gleichermaßen verloren, obwohl sie bei behutsamer Auseinandersetzung mindestens teilweise für diese Bewegung gewonnen werden könnten. Das vorliegende Buch versucht, diese auch in fortschrittlichen Kreisen vielfach gemachten Fehler zu vermeiden und versteht sich insofern auch - im Zusammenhang mit meinen drei oben genannten Einführungen - als ein konkretes Beispiel einer emanzipatorischen Didaktik.  | 
  
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Version: 12.03.12 21:12:53